Die Moral der Methode

Neue Bilder vom Auto

von Jürgen Hoffmann

Herstellung von Bildern - heute ist alles möglich: Heillose Anstreicherei Sklaverei des Augenscheins selbstzufriedenes Fuchteln bestürzende Raffinesse Subtilität Dummheit, jedoch auch, immer noch, die Artikulation von Bildern als ethisches Fragen:
Was ist zu sehen? Ist überhaupt noch was zu erkennen? Und wenn denn Gegenstände sich abzeichnen sollten: Was geben sie her? Verlohnen Aussagen z. B. über Autos oder Bäume? Hellen sie unser Hiersein auf? Verbinden sie dein Leben und mein Leben mit Sinn?
Wie fern liegen die Zeiten, als das Kunstwerk noch wörtlich fordern mochte: „Du mußt dein Leben ändern" (Rilke)!

Wolfgang Schiffling gehört zu dieser seltenen womöglich vom Untergang bedrohten Art, der seine Malarbeit unerbittlich seit Jahren unter Bedeutungsanspruch stellt. Es gibt den Gegenstand. Es gibt das Thema und das Problem. Er vertraut auf die Möglichkeit von Mitteilungen. Er setzt darauf, daß das Medium Bild semantisch leistungsfähig sei.

Auto ist ihm das Kurzwort für technische Zerstörung der Welt. Der unanschaulich-globale Verwüstungsvorgang durch technischen Fortschritt wird ihm anschaulich in den mit Auto zusammenhängenden Erscheinungen und Prozessen. Seine erste individuelle Entscheidung als Künstler besteht darin, das Problem als unser gemeinsames, den Gegenstand Auto als eigenen anzunehmen - er ist allgemein und konkret in einem. Jetzt beginnt die Arbeit:
Ein durch die Jahre beibehaltener Weg der Suche, welcher Sackgassen Schleichspuren Umwege ebenso einbegreift wie schnelle Vorläufe und wie im Flug gemeisterte Problemfelder. Nichts besonderes. Ungewöhnlich jedoch die beharrliche Kraft, mit der W. S. nach methodischer Klarheit sucht.
Von den in dieser Ausstellung gezeigten neuen Arbeiten her werden manche Aspekte seiner früheren Bilder - auch davon mehrere Beispiele - anrührend als frühe Annäherungen ans Thema, als Tasten nach der Figuration, auch als Abschied von der Figur relativiert. Heute erzählt W. S. nicht mehr Geschichten von der Straße; crash-Situationen Lackschäden Täter und Opfer sind verschwunden. Sache ist jetzt die technische Gewalt, unter der wir schwer leiden, wiewohl unsereins sie selbst produziert, und die technische Gewalt ist eben nicht im einzelnen abgemalten Automobil zu fassen, sondern steckt in der Struktur des Ganzen.

Die Herangehensweise ist nicht länger betrachterisch. Die Bildideen werden vorbereitet durch die Manipulation transparenter, übereinander bewegter Folien, die unterschiedliche Motive tragen. So werden die Bildräume zu Rollfeldern von Kraftströmen; Bewegung und Geschwindigkeit herrschen; die Beschleunigung des identifizierbar Sichtbaren löscht die einzelne Erscheinung: Einzelform und individuelle Farbe sind außer Kraft gesetzt.
Hier beginnt Schifflings Kunst. Seine Aufgabe lautet, das Spannungsfeld zwischen Obsession und Konstruktion mit den Werkzeugen und Mitteln der Malerei auszubeuten - anders als in gewissen frühen Arbeiten, die wie gemalte Unfallreportagen erscheinen mochten. Einerseits ist da die lineare Struktur der verschiedenen Raum- und Gegenstandsschichten; auch in der Projektion per Bildwerfer bleibt die „verschnellte" Struktur prinzipiell lesbar. Die Versuchung liegt nahe, sie monomanisch nachzuerzählen, um am Ende doch wieder bei „Auto" herauszukommen.
Andererseits erzeugt die Schichtung alogische und antiräumliche Verknotungen der Ebenen und Motive: Es entstehen undingliche Figurationen von rasanter Gestalthaftigkeit, die in Schifflings Augen nur den Makel haben, daß sie fiktiv sind, nichts bedeuten.
W. S. ist in seinen Bildern auf der Suche nach einer „akzeptablen" Figur: Die Sehnsucht nach dem Bild des Menschen klingt nach, die Illusion einer ordentlichen story mit wiedererzählbarem Zuerst-Dann und perspektivisch gehaltenem Raum. Aber Mut und Kraft seiner Arbeit erweisen sich dort, wo das abstrakte Kraftgeschehen wie stark farbige, ganz freie Musik in Szene gesetzt erscheint. Von neuem stellt sich in diesen Arbeiten das bekannte Geheimnis ein: Jenseits der Wiedererkennbarkeit der Motive - Auto, Menschengestalt - sammeln sich Inhalt wie Aussage des Bildes in der ästhetischen Qualität der Gestaltung. Die Radikalisierung seiner künstlerischen Ideen führt Schifflings Bilder - paradox genug! - zu der bestürzenden Frage: Wie können wir leben? Überleben?

Quelle: Katalog Schiffling - Neue Arbeiten
Galerie Sandmann + Haak, Hannover
16. Januar bis 22. Februar 1992